Risikofaktoren und Ursachen

Die genauen Entstehungsursachen sind bis heute noch nicht geklärt. Fest steht, dass es nicht eine einzige Ursache gibt, die eine ADHS bedingt, sondern viele miteinander interagierende Faktoren an der Entstehung beteiligt sind.

Dabei unterscheidet man zwischen genetischen und Umweltfaktoren und deren Interaktion, strukturellen und funktionellen Besonderheiten im Gehirn sowie neuropsychologischen Faktoren und Temperamentsmerkmalen.

Genetik

ADHS tritt familiär gehäuft auf, d.h. Verwandte ersten Grades haben ein doppelt bis achtfach erhöhtes Risiko ebenfalls an ADHS zu erkranken. Adoptions- und Zwillingsstudien haben gezeigt, dass dies nicht auf das Erziehungsverhalten zurückzuführen ist, sondern genetische Faktoren wesentlich an der Entstehung von ADHS beteiligt sind. Dabei gibt es nicht ein einzelnes Gen, sondern multiple, weit verbreitete Genvarianten erhöhen im Zusammenspiel das Risiko an ADHS zu erkranken. Insgesamt stützen die derzeitigen Befunde die Vermutung, dass ADHS Ausdruck einer neuronalen Entwicklungsstörung ist, wobei der genetische Beitrag in der Entstehung eine stärke Rolle einnimmt als Umweltfaktoren.

Umweltfaktoren

Nichtsdestotrotz gibt es auch Umweltfaktoren, die mit einem erhöhten Risiko einhergehen an ADHS zu erkranken. Die Erforschung ist dabei jedoch sehr schwer und eine klare Kausaliät ist bisher nicht belegt. Im Verdacht mit an der Entstehung von ADHS beteiligt zu sein, stehen eine Reihe von Risikofaktoren, wie zum Beispiel Alkohol- oder Nikotinkonsum während der Schwangerschaft, verschiedene Toxine, Nahrungsfaktoren wie Farbstoffe und Konservierungsmittel. Bislang fehlen jedoch eindeutige Zusammenhänge, die die genannten Faktoren als mit verursachend bei einer ADHS-Symptomatik bestätigen.

Ein weiterer Aspekt, der nur teilweise zu den Umweltfaktoren zu zählen ist, besteht in einem niedrigen sozioökonomischen Status sowie getrennt lebenden oder psychisch kranken Eltern. Dabei ist jedoch noch unklar, ob es die Folge oder die Ursache einer familiären ADHS-Belastung darstellt.

Trotz der getrennt dargestellten Bereiche von Genetik und Umwelt ist es wichtig beide Faktoren nicht unabhängig voneinander zu betrachten, da gerade die Gen-Umwelt-Interaktion wesentlich zur Entstehung einer ADHS beiträgt. Dabei können sowohl Umwelteinflüsse auf die Genetik und die Transkription bestimmter Gene einwirken wie umgekehrt, eine genetische Disposition das Risiko für bestimmte Umwelteinflüsse erhöhen. Bisher sind diese Interaktionen aber noch unzureichend erforscht.

Strukturelle und funktionelle Besonderheiten des Gehirns

Früher vermutete man, dass besonders Hirnstrukturstörungen die Ursache einer ADHS seien. Inzwischen hat sich gezeigt, dass es tatsächlich hirnstrukturelle und hirnfunktionelle Unterschiede zu Kindern ohne ADHS gibt, doch diese Besonderheiten überschätzt werden. Einige Studien konnten zeigen, dass ein vermindertes globales Gehirnvolumen im Vergleich zu gesunden Kontrollkindern vorliegt und dabei vor allem die graue Substanz vermindert ist. Dabei zeigte sich, dass die Volumenminderung der grauen Substanz in frontalen und parietalen Hirnregionen mit der Schwere der ADHS-Symptome zusammenhängt. Außerdem konnten veränderte Aktivierungsmuster in verschiedenen Hirnregionen gefunden werden.

Weitere Besonderheiten zeigten sich im Ruhe-EEG. Von ADHS Betroffene weisen dabei ein Muster mit erhöhter langsamer und reduzierter schneller Aktivität auf. Zusätzlich fand man Unterschiede in allen Phasen der Informationsverarbeitung.
Insgesamt weisen die genannten Befunde jedoch eine große Heterogenität auf und bestätigen damit die multifaktorielle Entstehung einer ADHS.

Neuropsychologie

In neuropsychologischen Bereichen scheinen besonders die exekutiven Funktionen (u.a. die zielgerichtete Handlungssteuerung sowie die Selbstregulation) beeinträchtigt zu sein. Dies ist jedoch nicht spezifisch für eine ADHS, sondern tritt bei anderen psychischen Störungen ebenso auf. Bei ADHS-Patienten finden sich außerdem Veränderungen der motivationalen Prozesse sowie der Lernmechanismen (z.B. Verkürzung des Aufschubs einer Belohnung anstatt Gewinn zu maximieren).

Temperamentsmerkmale

Erste Vorläufersymptome einer ADHS sind bestimmte Temperamentsmerkmale wie eine extreme Reaktivität sowohl im Sinne einer Hypo- wie auch einer Hyperaktivität, die in Kombination mit anderen Faktoren zur Entwicklung einer ADHS führen können. Zusätzlich beeinträchtigt sind bei Kindern mit ADHS die Selbstregulationsfähigkeit sowie die willentliche Kontrolle. Dabei konnten mehrere Studien feststellen, dass vor allem die Fähigkeit Emotionen zu regulieren und damit einhergehend die Entwicklung kompetenter sozialer Funktionen betroffen sind. Gerade Defizite in der Emotionsregulation gelten dabei als Risikofaktoren auch andere Störungen zu entwickeln. Belegt ist weiterhin, dass Kinder mit ADHS schon als Säuglinge mehr Regulationsstörungen (z.B. exzessives Weinen, Schlafstörungen, Fütterungsprobleme) aufweisen als andere Gleichaltrige.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ADHS durch ein komplexes Zusammenspiel der oben genannten Bereiche und deren einzelner Funktionen entsteht und es noch weitere Forschung benötigt, um die genauen Ursachen der Erkrankung besser beschreiben zu können.